Ein abenteuerlicher Spielplatz
2000 Höhenmeter über mühsames Gelände muss man erstmal überwinden, um an die eindrückliche Westwand der Jungfrau zu gelangen. Das Rotbrätt erfüllt alle Eigenschaften eines Abenteuers: steil, alpin, wild und anspruchsvoll. Jonas Schild und ich wurden auf die Route „Silberrücken“ aufmerksam, nachdem sie von Roger Schäli und Stephan Siegrist erschlossen und im Juni 2019 rotpunkt geklettert wurde.
Ich hatte 2019 nach der Wettkampfsaison viele Klettermeter im Frühling und zahlreiche alpine Klettertouren im Frühsommer hinter mir. Nachdem hartnäckige Wasserstreifen und instabiles Wetter die Begehung der „Odyssee“ am Eiger verunmöglichten, entschied ich mich mit Jonas für das Rotbrätt. Wir waren neugierig, denn es würde die erste Wiederholung sein nach den Erschliessern.
Am 29. August 2019 starteten wir früh morgens von der Silberhornhütte. Die ersten Seillängen sind nicht wegen der Schwierigkeitsgrade, sondern wegen der mässigen Felsqualität und der spärlichen Absicherung anspruchsvoll. Wir hatten vorgesehen, abwechslungsweise vorzusteigen. Als dann aber bei Jonas in der dritten Seillänge (7a+) ein Griff ausbrach, schwand sein Vertrauen. Ich versuchte, ruhig und konzentriert zu bleiben. Jonas schlug vor, die darauffolgende Seillänge einfach einmal auszuprobieren und mir dann Tipps für die Kletterabfolge zu geben. Als ich an der Reihe war, konnte ich sie prompt flashen. Dieses Vorgehen entspannte uns und gab uns beiden wieder Vertrauen. Der Schlüssel zum Erfolg war sicherlich, dass wir nicht strikt nach Protokoll geklettert sind, sondern so, dass wir uns beide wohlfühlten. Nach neun Stunden hatten wir als Team die zweite freie Wiederholung der Route geklettert. Wir seilten glücklich ab und übernachteten noch einmal in der Hütte, bevor wir am nächsten Morgen wieder ins Tal abstiegen.
Die Tour hatte alle unsere Wünsche erfüllt: Ein anspruchsvolles, alpines und noch sehr junges Projekt, das nicht nur unser technisches Können gefordert hatte. Jonas und ich haben uns bewiesen, dass wir in mental anspruchsvollen Situationen als Team flexibel und effizient funktionieren können.